Frech, vorlaut, clever und im Zweifelsfall ganz schön böse: Das ist Courtney Crumrin. Ein kleines Mädchen, das es ziemlich faustdick hinter den Ohren hat und bei dem man sich ab und an schon fragt, ob es wirklich gut ist, dass sie Zugang zu einigen ganz schön heimtückischen Zaubern hat. Denn auch wenn die Abenteuer von Courtney anfangs noch nett und charmant wirken, wird doch schnell klar, dass es hier oft äußerst makaber zugeht und die Grenze zum moralisch Richtigen wird hier auch schon mal überschritten.
Zu Anfang gibt es erst mal viel Altbekanntes. Sowohl die Exposition der Handlung als auch die ersten Auftritte von der elfjährigen Courtney, ihren spießigen Eltern und dem düsteren Onkel wirken allesamt recht vertraut und bringen auch im Zusammenspiel noch nicht viel Reiz. Aber noch ehe man die erste der vier Geschichten des Bandes durch hat, merkt man, wie sich Ted Naifeh mit seiner Erzähl- und Darstellungsweise erfrischend abhebt.
Natürlich erfährt der Leser recht schnell, dass hinter der Fassade mehr steckt. Die Eltern wollen gerne zur Oberschicht gehören und leisten sich daher einen entsprechenden Lebensstil, obgleich es ihre Verhältnisse überschreitet, was sie aber kein Stück symphatischer macht. Der Onkel indes entpuppt sich als recht liebenswerter alter Greis, der so manches okkultes Geheimnis kennt und in einer ominösen Gruppierung Magiekundiger wohl einen hohen Posten bekleidet. Courtney schließlich ist nicht einfach deswegen mies drauf, weil sie es sein will, sondern weil ihre Umgebung respektive Eltern und Mitschüler für einen Menschen mit Verstand einfach eine Qual sind.
Damit hätten wir immerhin ein gutes Grundkonstrukt, relativ solide aber auch wenig experimentell und an sich auch schon lange erforscht, man denke nur an Tim Burton’s „Beetlejuice“ das mit der düsteren Lydia eine ähnliche Rolle bot. Dazu kommen dann nochmal 20-30 Jahre Popkultur, die das düstere Mädchen als Konzept schon ziemlich ausgereizt haben.
Genau hier setzt Ted Naifeh an und spinnt die Idee einfach weiter. Wenn alle um einen herum einfach nur beschränkt sind, ist man dann wirklich die Einzige mit gesundem Verstand? Oder gibt es doch noch andere und wo sind die?
Bei Courtney sind diese Anderen einfach ihr Onkel und alle sogenannten Wesen der Nacht, oder nennen wir sie einfach Übernatürliche. Denn auch in den späteren Bänden erweitert Ted, der in dieser Reihe das erste Mal auch als Autor tätig war, sein Ensemble stetig und beweist ein äußerst geschicktes Händchen dabei, bekannte Versatzstücke aus der Folklore zu reanimieren. Ähnlichkeiten zu Mignolas Hellboy-Erzählungen sind da sicher nicht nur zufällig.
Schon die erste Begegnung mit einem gefrässigen Kobold zeigt, dass hier keine Seite nur blufft. Wo sonst das Erschrecken und Bedrohen meist alles ist, was die Antagonisten anzubieten haben, so werden hier Nägel mit Köpfen gemacht und selbige rollen schon früh. Allerdings geht es hier in keinster Weise um Gewalt, sondern vielmehr sollte man es als eine große Hommage an die Märchen unserer Jugend betrachten. Nicht nur die Grimmschen Märchen waren alles andere als gewaltlos, und schon da waren Kinder die Täter. Natürlich hatten sie einen guten Grund die Hexe zu verbrennen. Aber wo zeigt man heute noch Selbstjustiz als scheinbar legitimes Mittel? Die meisten Erzählungen unserer Zeit versuchen sich hier krampfhaft an eine moralische Grundlinie zu halten, die zwar natürlich wichtig ist, aber in einem literarischen Stück darf und soll man eben auch mit diesen Grenzen arbeiten und dazu muss man sie auch mal überschreiten.
Während sich beim oben erwähnten Hellboy niemand groß darum schert, wenn auch mal jemand erschossen oder sonstwie in die nächste Sphäre transportiert wird, kommt man bei Courtney nach und nach doch ins Grübeln.
Es ist dem Autoren positiv anzukreiden, dass er es schafft die Reise seiner Protagonistin sowohl charmant, glaubhaft aber eben an den wichtigen Stellen auch berührend ernst, fast schockierend zu gestalten. Was anfangs noch harmlos wirkt, wenn Courtney die fatalen Auswirkungen eines Liebeszaubers an sich selbst entdeckt, zeigt seine ganze Tragweite erst, als schließlich auch ein unschuldiges Baby entführt wird. In Gestalt von Courtneys Onkel wird hier eine klare Ansage gemacht: „Ich finde es rührend, dass du dir Sorgen machst. Aber solche Dinge passieren einfach, Courtney.“
Courtneys Aufgabe ist es also weniger die schlimmen Dinge zu verhindern, manchmal ist so etwas schließlich nicht möglich, als vielmehr zu lernen damit umzugehen. Angesichts der sonst üblichen (und unserer Meinung nach ganz schön ausgelutschten und unrealistischen) ‚es muss dringend ein Happy-End her‘-Konzepte möchte man dem Autoren für eine so mutige aber wahre Botschaft am liebsten stehenden Beifall geben.
Das Erwachsen-Werden und die Last aber auch die Vorteile von Verantwortung ziehen sich wie ein roter Faden durch die lose zusammenhängenden Erzählungen. Dies geschieht dabei so angenehm subtil, dass man nie einen erhobenen Zeigefinger spürt. Viel mehr kann man Courtneys Höhen und Tiefen immer besser nachempfinden und beglückwünscht sie innerlich bei jedem kleinen oder größeren Erfolg auf ihrem beschwerlichen Weg, der natürlich auch einige Rückschläge beinhaltet.
Trotz aller Ernsthaftigkeit bei den Zwischentönen besitzen die Erzählungen alle einen angenehmen Kaminfeuer-Charme. Das liegt einerseits an der Erzählweise des Autors, die sich auch immer wieder um kreative aber nicht künstlich wirkende Perspektiven bemüht, andererseits aber auch an dem augenzwinkerndem Witz. Da sind es oft die Menschen, die den Wesen der Nacht skurril und abartig erscheinen, dies geben sie dann gern auch mal offen kund und sorgen beim menschlichen Fleischsack für Erschrecken, beim Leser indes für schmunzelnde Heiterkeit.
Ted Naifeh zeigt die Abenteuer von Courtney in einem minimalistisch skurilem Stil, der den Figuren etwas Geheimnisvolles anhaften lässt. Hier werden nur die nötigsten Details und Mimiken gezeigt, diese aber umso gekonnter. Hat man sich erstmal daran gewöhnt, dass die Protagonistin meist keine Nase hat, ist man auch schnell in die düster-morbide Welt eingetaucht, die auch ein Tim Burton kaum skurriler hätte gestalten können.
Die Vier Bände der Reihe sind als Soft- und Hardcover im Eidalon-Verlag erschienen. Jeder Band bietet genug Stoff für ein paar unterhaltsame Leseabende. Am besten stilecht im Bademantel mit Pfeife, gestriegeltem Ziegenbart und Puschenpantoffeln vor dem Kamin, sofern vorhanden.
- Text Copyright 2011 Alexander Lachwitz
- Cover, Artwork Copyright Ted Naifeh/Eidalon
- Am: 19.04.2011
- Bei G wie Gorilla
- Courtney Crumrin und die Wesen der Nacht
- Eidalon
- ISBN 978-3939585411
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