Vorwärts in die Vergangenheit – Ein Abgesang auf sogenanntes Next-Gen-Gameplay

Über ein halbes Jahr nach der Ankündigung der Playstation4 und kurz vor dem Release der Xbox One nächsten Monat wird es Zeit für eine Rekapitulation. Hinter uns liegen lange Monate der Presseankündigungen, PR-Debakel, endloser Fandiskussionen und natürlich das ewige Rumgehacke, welche Konsole nun die beste wird. Und in all dem Tohuwabohu ist, wie bei jeder Ankündigung einer neuen Konsolengeneration, ein Begriff wieder mal bis zum geht nicht mehr rauf- und runtergebetet worden: Besseres Gameplay!

Aber zuerst noch etwas zur Entwicklung des Hobbys Videospiele selbst. Während die Jungs und Mädels bei Microsoft sich anfangs noch von dem PR-Desaster ihrer Multimedia-Konsole mit BigBrother-Ambitionen erholen konnten, wurden sie tags darauf von Sony durch den Verzicht auf Gebrauchtspielehandel und Onlinezwang hinterrücks gemeuchelt. Nintendo dümpelt indes daher und präsentierte nur ein paar neue Ableger seiner altbekannten Franchises. Es hat für die Mündigkeit der Spielergemeinschaft schon etwas extrem Tragisches an sich, wenn man den anhaltenden Applaus beobachtet, welchen Sony für etwas erhalten hat, das die bisherigen Konsolen allesamt bieten. Schon im Vorfeld war abzusehen, dass alle Spieler Angst vor einer Gebrauchtspielrestriktion und Onlinezwang hatten. Dass Microsoft beides, wenn auch in abgespeckter Form, unterstützt, machte es für Sony umso leichter daraus Kapital zu schlagen. Weniger war nicht nur mehr, sondern brachte den Sieg im Presseecho. So läuft der Hase heute. So wurde aus Angst vorauseilender Gehorsam und man benötigte gar keine neuen Features. Hauptsache, man macht den Spielern zuerst Angst und belohnt sie dann, indem man auf bestimmte Features verzichtet, oder sie sehr abgespeckt bringt. Schöne neue Gamerwelt….

wiiu21Dass die WiiU keines dieser Mankos hat, wird dabei geflissentlich ignoriert, da sie zum einen weder technisch mit den neuen Konsolen mithalten kann und zum anderen auch unter einem extrem schleppenden Start leidet, der fast an die katastrophalen ersten Jahre von PS3 und Xbox360 erinnert. Man sollte nicht vergessen, dass beide Konkurrenzkonsolen jeweils ein extrem schlechtes erstes Jahr hatten, vom Todgesang auf beide Konsolen und ihre Hersteller ganz abgesehen.

Während Onlinezwang und Gebrauchtspielrestriktionen nur ein Ausdruck für die Hilflosigkeit des Managaments gegenüber den Veränderungen des Marktes und die steigenden Entwicklungskosten sind (ein Problem, dass in seiner Struktur dem wahnhaften DRM-Zwang der Musikbranche in der Prä-2007-Ära erinnert), sind dies aber keine Gefahren für das Spielerlebnis an sich. Denn der stetig steigenden Output an Titeln sorgt dafür, dass die Firmen immer mehr darauf angewiesen sind, aus jeder verkauften Einheit möglichst das Maximum zu holen. Steam hat digitalen Vertrieb quasi wohnzimmertauglich gemacht. Summersales sind bessere Verkaufsargumente als vollgepackte Sammlerausgaben mit echten Karten auf Kunstleder oder Leinen und kosten in der Produktion quasi nichts. Niemand auf der produzierenden Seite hat ein Interesse physische Datenträger weiter interessant zu halten. Nach und nach werden sie zu einem Nischenprodukt, vermutlich noch nicht in der kommenden Generation, aber in der darauf folgenden (so es noch zu einer Folgegeneration kommt, mehr dazu weiter unten), wird der Download wohl der Vertriebskanal Nummer eins sein. Aber das ist, wie gesagt, keine Gefahr für das Spielerlebnis selbst. Denn dies und die Spielmechanik sind viel stärker gefährdet durch die Angst der Managerabteilungen und der Prognosen von Meinungsforschern und Marktanalysten.

Quo vadis Gameplay?

Xbox-One-vs-PS4Sowohl bei Sony als auch Microsoft wurde gleich einem Mantra bei der Präsentation der neuen Konsolen und der neuen Spiele permanent von besserem Gameplay, tieferer Immersion und einer neuen Generation von Spielen geschwafelt. Doch im Endeffekt reduziert sich all dies auf bessere Grafik (Fahrzeuge werden nicht mehr nur in Trümmer geschlagen, die Trümmer verformen sich sogar!), mehr Rechenleistung (Massenszenen, die in den seltensten Fällen wenigstens cinematisch ordentlich präsentiert wurden) und besserer KI. Wenigstens das letzte Argument könnte man zählen lassen, wenn es am Ende nicht auch nur dazu benutzt wird, mehr Nichtspielerfiguren auf den Bildschirm zu bringen, die sich meist genau so dumm oder semiintelligent verhalten, wie schon anno 2007. Selbstlernende computergesteuerte Fahrer wurden auch schon vor 10 Jahren als Novuum verkauft. Die Frage ist nicht ob, sondern wie groß die Probleme mit den nötigen Serverkapazitäten und Bandbreiten sein werden. Nach den vergeigten Startphasen von DiabloIII und SimCity (beide mit Onlinezwang) ist es aus Spielersicht ein Wunder, dass man dieses Modell weiterhin durchboxen will. Aber es ist für jeden Hersteller günstiger, eine Serverkapazität zu beschaffen, die den durchschnittlichen Besucherstrom mühelos stemmt, als eine, die den Ansturm am Releasetag aushält. Die Mehrkosten wiegen die Negativpresse nicht auf, das Spiel wird so oder so verkauft wie geschnitten Brot.

Bei den heutigen Spielekonferenzen ist eine Runde Bullshit-Bingo oft unterhaltsamer als das, was auf der Bühne gezeigt wird. Statt neuem Gameplay gibt es die absehbaren Fortsetzungen bekannter Reihen, gewürzt mit überraschenden Fortsetzungen älterer Reihen und als Sahnehäubchen kommt mal ein Remake daher. Nintendo präsentiert nur Figuren die wir seit 15 Jahren kennen? Battlefield hatte letztes Jahr sein 10-jähriges Jubiläum, während MetalGearSolid noch aus den 80ern stammt und selbst sein erster 3D-Auftritt nähert sich langsam dem zwanzigjährigen Jubiläum. Nintendo, Sony und auch Microsoft geben sich da insgesamt nicht viel.

Entwickler wie David Cage, Peter Molyneux, Will Wright und wenige andere haben oder hatten zeitweise Visionen um bestehende Gameplaykonventionen aufzubrechen oder zumindest auf neuen Wegen zu nutzen. Beispielsweise wurden Quick-Time-Events, die heute schon niemanden mehr hinter dem Ofen hervorlocken (und dennoch gefühlt DAS Feature von Cryteks Römer-Schnetzler RYSE waren) nie so gekonnt eingesetzt, wie in Heavy Rain anno 2010.

Der Mut zu neuen Wegen ist zu einem Lippenbekenntnis verkommen.

Alles, was von diesen Ambitionen übrig geblieben ist (siehe Herrn Molyneux Rentenjob als Microsoft-Maskottchen), ergießt sich in Creativity-Spielen a la Prank, die sich am Konzept von Little Big Planet bedienen. Immerhin ein kreativer Ansatz, aber Little Big Planet hat dieses Konzept schon vor Jahren etabliert. Seitdem gibt es auch hier keine nennenswerte Evolution.
Was fehlt, ist der Mut Gameplay zu hinterfragen und Experimente zu wagen. Man könnte meinen, mit dem wachsenden Indie-Markt wäre dies heutzutage kein Problem. Doch der Indie-Markt lebt auf dem PC und Mobilgeräten, nicht auf den großen Konsolen, zumindest im Moment.

2009-025Doch das Problem geht an vielen Stellen los. Die Konsolen kosten sowohl in der Produktion aber auch im Endkundenpreis nicht wenig Geld. Die Spiele schlagen mit Preisen ab 50€ aufwärts für den Verbrauche nochmal zu Buche, damit sich die Entwicklungskosten im dreistelligen Millionenbereich rentieren. Dabei zeigen Entwickler wie CD-Projekt mit ihrer Witcher-Reihe, dass man selbst mit einem Bruchteil davon hervorragende Arbeit abliefern kann. Doch bei dreistelligen Millionenbeträgen werden keine Experimente geduldet.

Aber um Gameplay zu begreifen und auf neue Ideen zu kommen, muss man Abstand gewinnen, sowohl von gewohnten Formaten, als auch von der Konsole. Sony, Microsoft und Nintendo sollten ihren Top-Entwicklerteams ein oder gar zwei Monate Zeit geben um mit Gamedesignern wie Jane McGonigal Urlaub im Grünen zu machen und einfach mal frei rumzuspinnen. McGonigal ist zwar nicht sehr erfahren im Umgang mit AAA-Titeln, aber im Bereich Gameplaykonventionen und Spieltheorie gehört sie zu den interessantesten Köpfen, die es momentan gibt. Ihr Buch „Besser als die Wirklichkeit“ ist zwar stellenweise etwas naiv und blauäugig, zeigt aber dafür an sehr vielen illustren Beispielen, was für Spielmechaniken es alles geben kann, wo wir sie entdecken und einsetzen können. Das kann von einer Runde Tombstone-Hold’em-Poker (Texas-Hold’em Poker mit menschlichen Mitspielern und Grabsteinen auf Friedhöfen) bis zu globaler dezentraler Archäologie zwecks Wiederentdeckung vergangener Sportarten und deren Vorstellung bei den olympischen Spielen reichen.

Was wäre denn, wenn jeder Spieler seine Konsole (die ein extrem leistungsstarker Computer ist, das darf man nie vergessen) als komplexes Werkzeug nutzen kann, um einen Teil zu einem größeren Spiel beizusteuern, das komplett durch die vernetzten Spieler gebaut wird? Ganz ohne eine Programmierumgebung, ein separates Gruppenmanagement oder sonstige hemmende Elemente. Alles könnte zentral über die immer mächtiger werdenden Konsolen und ihre Möglichkeiten laufen. Skypekonferenzen sind doch schon auf den bestehenden Konsolen meist kein Problem.

Aber für solche Wagnisse müsste man das bequeme Nest der etablierten IP’s verlassen und die Scheu vor niedrigeren Gewinnzahlen überwinden.

Nintendo hat diesen Mut sowohl mit dem DS als auch der Wii bewiesen. Der 3DS zeigt aber, dass das Konzept zwar funktioniert, aber nur für einige Sparten. Immerhin gibt es hier die Möglichkeit dies zu nutzen. Dass die WiiU erneut zum Experimentieren einlädt, darf bezweifelt werden. Immerhin wurde sie von vielen Gamern erst mit Ankündigung des Pro-Controllers halbwegs ernst genommen. Solange sich also auch die selbsternannten Pro-Gamer nur nach dem ewig Gleichen sehnen, besteht kein Grund auf Besserung zu hoffen. Dementsprechend verabschiedet sich offenbar auch Nintendo langsam wieder vom Basteltisch und bleibt lieber auf sicherem Boden.

Oder ist es doch die Dämmerung des anstehenden nächstens Konsolen-Crash?

Die nächste Generation an Ideenträgern steht immerhin schon bereit. Innovation und Bewegung kann man bei Apple und vor allem Google sehen. Mit dem Augmented-Reality-Game Ingress zeigen sie, was sich durch die Erweiterung des Spielfelds auf den Bereich außerhalb des Bildschirms alles erreichen lässt. Zwar läuft das Spielgeschehen immer noch auf dem Smartphone oder Tablet ab, basiert aber auf realen Gebäuden, die vor Ort erobert und vor feindlicher Übernahme geschützt werden müssen. Apple hat schon vor Jahren mit seinem App-Store das mobile Spielen umgewälzt und zeigt, dass es auch gute und sogar gewinnbringende Spiele für unter 1,00€ geben kann. Dass der 3DS, aber auch die Vita sich dem gegenüber noch behaupten können, ist schon ein kleines Wunder, zeigt aber auch, dass Innovationen längst nicht der Tod etablierter Mechanismen sein müssen. Alt und Neu können friedlich koexistieren und im Bestfall sogar etwas voneinander lernen. Immerhin besitzt auch der 3DS, genau wie sein Vorgänger und die WiiU, einen Touchscreen.

Mit Google Glass wird indes schon am nächsten Experimentierfeld gearbeitet. Die klassische Heimkonsole wird sicher noch einige Jahre Bestand haben, womöglich sogar länger, es wäre ihr zu wünschen. Aber die Entwickler (und auch die Gamer) müssen die Augen öffnen, und begreifen, dass Spiele nicht nur innerhalb eines Bildschirms oder begrenzten Raums stattfinden müssen. Neue Konzepte müssen zudem nicht alle begeistern. Wenn 70% der Gamer weiterhin gerne mit einem klassischen Controller spielen, nur zu. Auch auf der Wii gab es sehr viele hervorragende (Exklusiv!)-Titel, die ganz ohne Bewegungssteuerung auskamen. Aber mit den restlichen 30% soll man doch bitte neue Wege erkunden. Selbst Fehlschläge werden dabei im Gameplay unterhaltsamer sein als der xte Third-Person-Shooter oder das nächste Open-World-Spiel (übrigens eins der wenigen jüngeren Genres, mit nur knapp einem Jahrzehnt auf dem Buckel).

Eine interessante Symbiose von Alt und Neu zeigt das Projekt Ouya. Eine stationäre Konsole mit klassischem Controller, offenem Android-System, anpassbar und das für gerade mal 99$. Jedes Jahr soll eine neue Version kommen, aber die Spiele lassen sich direkt übertragen, genau wie beim Handy. Sicher kein großer Player, aber ein interessantes Konzept. Mit der Steam-Konsole hätte man einen konventionelleren Ansatz, der aber zumindest den Bereich Vermarktung und Upgradefähigkeit einer Konsole auf eine neue Stufe hebt und auch hier die festen Konventionen aufbrechen könnte. Was vor Jahren als vielgehasstes Onlinekopierschutzsystem begann, hat sich inzwischen zu einem veritablen Spielemarkt und vor allem einem großen Förderer der Indie-Szene entwickelt. Könnte der Spiele-PC nach dem Konsolen-Crash dank Steam eine Renaissence erleben?

Egal was kommen mag: Das, was die Konsolenspieler in den nächsten Monaten erwartet, ist kein Next-Gen-Gaming. Sony und Microsoft präsentieren Next-Gen-Marketing und garnieren dies mit gut abgehangenen Gameplaykonventionen um auch ja den möglichst breiten Massenmarkt zu gewinnen. Aber schon in der deutschen Politik hat man gemerkt, in der Mitte wird keine Wahl gewonnen, sondern nur Profil verloren. Bald schon wird das nächste Uncharted, TombRaider oder God Of War spielerisch kaum vom nächsten Crytek-Shooter/Schnetzel-Spiel zu unterscheiden sein. Jedes Spiel wird von allem etwas haben und niemanden richtig glücklich machen.

Resident Evil Revelations entstand für den 3DS mit begrenzten technischen Ressourcen. Als Ergebnis gab es zwar auch kein neues Gameplay, aber immerhin ein aufs wesentliche reduziertes Spiel. Zur Belohnung hat es sich hervorragend verkauft, wurde auf die stationären Konsolen portiert und man verzeiht Capcom schon fast das zu massenmarkttauglich verhunzte Resident Evil 6.

Nur um’s klar zu stellen: Ich freue mich auf die neuen Spiele; immerhin weiß ich, was ich kriege. Das was mir schon gestern geschmeckt hat. Aber Next-Gen-Gaming, den Geschmack von etwas exotisch Neuem, findet man vorerst nicht innerhalb des Bildschirms. Freuen wir uns auf Next-Gen-Gaming nach dem großen Crash oder einem gewaltigen Umdenken in den Managementabteilungen. Dreimal dürft ihr raten, was wohl wahrscheinlicher sein wird.


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