Diskurs zur Zukunft – Hemispheres

11406514_771438422969021_5728713009510324800_oSchon vor zwei Jahren hat ein Trio aus Potsdam über Crowdfundig Geld gesammelt um ihre ganz eigene Vision eines anspruchsvollen Comicbuchs umzusetzen. Hemispheres – unter diesem vielsagenden Titel arbeiten Christopher De La Garza, Sascha Grusche und Simon Pape inzwischen seit vier Jahren an dem Projekt. Nun steht der Comic kurz vor seiner Fertigstellung und für die dazu passende Buchpremiere hat man sich ein etwas anspruchsvolleres Programm ausgedacht. Hier also nun, passend zum Artikel von vor zwei Jahren, das entsprechende Update zur anstehenden Veröffentlichung.

Hemispheres erzählt in drei Büchern, soweit die Planung, die Geschichte eines Mönchs der aus seiner abgelegenen Gemeinde hinab in den Moloch der Großstadt geht um ein lebenswichtiges Medikament für einen seiner Ordensbrüder zu besorgen. Dabei kommt es nicht nur zum Aufeinandertreffen zweier unterschiedlicher Kulturen; hier treffen gänzlich unterschiedliche Ziele und Lebenseinstellungen aufeinander und vor allem die Frage, was wir aus unserer Zukunft machen wollen.

4aDie detailliert ausgearbeiteten Artworks von Sascha Grusche erinnern nicht von ungefähr an Sic-Fi-Artworks aus den 80ern. Bunte Neonlichter, kalter Stahl und Menschenmengen die auf gewaltigen Straßenzügen wie Ameisenkolonnen wirken. Ähnlichkeiten zu Blade-Runner sind unübersehbar, ohne dass die gesamte Konstellation lediglich wie ein Potpourri typischer Genrezutaten wirkt. Das Artwork fügt sich harmonisch zusammen und kommt nicht als Selbstzweck daher, man kann den Atem dieser Welt spüren wenn man nur die Bilder betrachtet. Diverse Skizzen zur Entwicklung von Gebäuden, Fahrzeugen und den Personen geben einen guten Einblick in die Entwicklung. Auf diese Weise wird sehr schnell verständlich warum in den vier Jahren bisher gerade einmal 31 Seiten entstanden sind.

2013 haben die Macher über Indiegogo erfolgreich das Geld gesammelt um den Comic selbst umzusetzen. Aktuell läuft nun eine zweite Kampagne, denn für ihre Veröffentlichung hat das kleine Team um Christopher De La Garza ein paar besondere Ideen. Wer das Projekt verfolgte, konnte beobachten dass die gesamte Präsentation auf der Homepage, in den sozialen Medien und besonders in kurzen Youtube-Clips sehr professionell und gut durchdacht daherkommt.
In diesem Geiste wird es neben der reinen Buchveröffentlichung auch eine halbstündige Dokumentation geben, deren Premiere zusammen mit der Releaseveranstaltung am 3. Oktober im Orange Lab in Berlin stattfinden wird. Eingerahmt wird die gesamte Crowdfunding-Kampagne von einer Interviewkampagne unter dem Hashtag #envisionourfuture in dessen Rahmen ausgewählte und etablierte Persönlichkeiten zu ihren Zukunftsvisionen befragt werden. Unter diesen Personen befinden sich Eve Jay von Comic-Solidarity, Sascha Wüstefeld und Ulf Graupner (Das UPgrade) sowie Daniel Lieske (Wormworld-Saga), also alles Personen die sich gerade im Bereich des kreativen Indie-Comic einen Namen gemacht haben.

Die Ziele des Hemispheres-Team sind keinesfalls zu klein gesetzt. Was vor zwei Jahren ob der Ambitionen vielleicht noch Skepsis erweckte, präsentiert sich nun als ausgereiftes und sehr wahrscheinlich funktionierendes Konzept. Einen endgültigen Eindruck kann man sich in wenigen Wochen machen, wenn das Buch endlich erhältlich ist. Bis dahin gibt das nachfolgende ausführliche Interview einen guten Einblick in den Schaffensprozess und was für Erfahrungen dabei gesammelt wurden.

Hemispheres – Eckdaten

  • Crowdfunding: 01. – 31. Juli 2015
  • Release und Dokufilmpremiere: 03. Oktober 2015, 20 Uhr im Orange Lab Berlin, Ernst Reuter Platz 2, 10587 Berlin
  • Preis: 29,95 € Buchpreis / 8 € als eBook oder 30 €, 39 € (+Eintrittskarte), 59€ (Bundle ) im Crowdfunding
  • uch: 64 Seiten (Hauptwerk und making Of, Artworks

Steht für euch eher die Abwicklung der Handlung mit ihrer Dramaturgie, oder eher die Reflektion der Leser über unsere mögliche Zukunft und die Konsequenzen unseres Lebensstils im Vordergrund?

(Sascha) Bei der Dramaturgie haben wir uns am aristotelischen Drama orientiert. Von Anfang an hatten wir den Plot so geplant, dass er mit Höhen und Tiefen versehen ist gemäß der Erzähltradition. Innerhalb dieses groben Ablaufs haben wir uns jedoch Spielraum gelassen, um Ideen aus dem Team und von unseren Fans aufzugreifen. Insofern war es von Vorteil, noch kein fertiges Drehbuch für die Graphic Novel zu haben, sondern es Schritt für Schritt zu vertiefen und auszufeilen.

Wie gestaltete sich die Integration von Simon Pape ins Team, da zum Zeitpunkt seines Einstandes viele Elemente des Art-Designs von Hemispheres ja schon fest standen?

(Sascha) Simon hat sich leicht ins Team integrieren lassen. Schon von seiner Persönlichkeit her ist er jemand, mit dem man immer eine gute Lösung findet. Auch in seinem künstlerischen Stil hat er perfekt zu uns gepasst. Ursprünglich sollte er lediglich Graffitis für unsere Protagonistin Selah Ray entwerfen, aber später dann kamen seine Fertigkeiten in Photoshop bei der Bildbearbeitung für die Malvorlagen zum Einsatz. Zum Schluss hin entwickelte er sogar ein 3D-Modell für einen eigenen Helikopter. Hierbei griff Simon unsere Idee auf, die Inspiration zum Design von Transportmitteln bei Tieren zu finden. Unsere vorher entwickelten Polizeiautos sind an den Körperformen von Triceratops und Rhinozeros angelehnt; Simons Helikopter orientiert sich am Hai.

xnhmnsn9ilbtih3alsqdDas auffälligste Merkmal ist das hohe grafische Niveau das sich über alle Seiten zieht. Aus welchem Grund nutzt ihr diesen Stil dermaßen konsequent und gab es Momente in denen ihr nicht doch über einen Wechsel oder Variationen nachgedacht habt?

(Sascha) Der fotorealistische Stil dient der maximalen Glaubhaftigkeit auf der visuellen Ebene. Wir Menschen nehmen den Großteil unserer Information über den Sehsinn auf. Wir glauben oft, was wir sehen. Wenn die Leserschaft vergisst, dass die Graphic Novel lediglich aus Pigmenten auf Papier besteht, dann kann sie leichter in die Welt von Hemispheres eintauchen. Als Künstler hab ich mich zwischendrin gefragt, inwiefern der Stil variiert werden kann, um die Bildwirkung zu steigern. Beispielsweise hatte ich die Idee, Bewegung durch mehrfach belichtete Bilder zu suggerieren, also durch aufgelöste, vervielfachte Formen. Allerdings wäre das schon ungewöhnlich und würde den Leser wieder aus dem Fluss der Geschichte herausreißen. Stattdessen haben wir dann eine Kampfszene, in der wir einfach die Panelränder weggelassen haben, um den Bewegungsfluss zu verstärken. Um den rasanten Rundgang des Mönches um die heilige Stupa zu illustrieren, haben wir ein Hitzeflimmern in die Atmosphäre gebracht. Die Form soll stets dem Inhalt dienen und darf nicht zum Selbstzweck verkommen. Deshalb bin ich immer so nah wie möglich an der Realität geblieben. Durch mein Promotionsprojekt im Bereich Optik, speziell Linsenabbildung und Spektren, habe ich jedoch inzwischen gelernt, die Welt mit anderen Augen zu sehen, nämlich aus physikalischer Sicht. Dadurch hat sich vielleicht der Stil der Seiten im Schaffensprozess noch mehr in Richtung visueller Authentizität entwickelt. Wir sehen zum Beispiel nie alle Dinge gleichzeitig scharf. Zudem erlaubt es mir dieser fotorealistische Stil (im Gegensatz zu einfachen Linienzeichnungen), visuelle Botschaften zu verstecken, die erst bei näherem Hinschauen auffallen

In wie fern hat die Arbeit an dem Projekt eure Sicht zum Medium Comics im Lauf der Jahre verändert?

(Christopher) Die Perspektiven verändern sich sehr schnell. Wir hatten uns das Ziel gesteckt unsere großen Vorbilder aus der deutsche Comic-Szene um deren Segen zu bitten. Dadurch konnten wir anbei auch viele Einblicke erhalten wohin wir gehen müssen, wenn wir unsere Graphic Novel international bekannt und erfolgreich machen wollen. Es ist ein bisschen paradox: Daniel Lieske, einer der unbekanntesten deutschen Comic-Künstler ist international bereits mit Wormworld-Saga sehr erfolgreich. Mehrere Crowdfunding-Kampagnen über Kickstarter brachten ihm schon mehr als 100.000 € für seine Buch-, Merch- und App-Produktionen ein. Sascha Wüstefeld und Ulf. S. Graupner mit ‚Das Upgrade‘ passten wir direkt beim Comic Festival in München ab und durften neben dem Interview und Segen gleich noch ein paar Ratschläge einholen. Hier ist es immer wieder ein Wechselspiel aus freien Aufträgen und dem beharrlichen Verfolgen seiner eigenen Ziele und Projekte. Nicht zuletzt erstellt Sascha Wüstefeld die Illustrationen für die bekannten ‚Sorgenfresser‘, welche mittlerweile überall zu sehen sind. Bei Thorsten Kiecker ist das nicht anders: mit seinem Atelier arbeitet er für große Auftraggeber und schafft parallel dazu seine eigene Reihe der RIA-Lichtklan Chroniken. Ich lernte ihn zum ersten Mal auf der Berliner Comic-Börse kennen und bin mittlerweile sehr froh darüber, dass wir bereits mehrere Treffen hatten. Neben der unternehmerischen Ebene sind unsere Zusammenkünfte immer sehr offen, locker, freundschaftlich und wohlgesonnen. Wir können uns gegenseitig sehr gute Tipps aus jeweils einer anderen Perspektiven geben!

Was würdet ihr anderen Zeichnern, Autoren oder Kreativen im allgemeinen Empfehlen wenn sie überlegen selbst ein Projekt via Crowdfunding zu finanzieren?

(Christopher) Es ist wichtig andere Perspektiven einzunehmen und die richtige Wellenlänge zu finden, bevor man die Sendeleistung verstärkt. Ich denke wir werden an dem Hauptformat keine groben Änderungen mehr vornehmen und jetzt an den nächsten zwei Bänden arbeiten – Beharrlichkeit beweisen. Es gibt viele Erfahrungen die wir auf dem Weg dahin machen werden, um daraus zu lernen. Unser Ziel ist die Comic Con in New York, möglichst 2017. 2019 wünschen wir uns die Fertigstellung aller drei Bände. Aus dieser Trilogie können wir dann einen großen Band erstellen und werden so hoffentlich interessant für Film-Produzenten in den Staaten. Ein Spiel oder Adventure-Game á la Beneath a Steel Sky wäre natürlich auch traumhaft! Das nächste was wir produzieren wollen ist ein kompletter Soundtrack für Hemispheres gemeinsam mit Johannes Heidingsfelder. Als Empfehlung würde ich daher immer sagen – groß denken! Größer denken als du selbst momentan bist oder es dir erträumen kannst. Ziele außerhalb deiner Reichweite stecken und von hinten nach vorne aufrollen, um dann machbare Meilensteine daraus zu erarbeiten. Jeden Tag daran arbeiten und die Leidenschaft mit anderen Menschen teilen. Es ist verblüffend wie viel Hilfe und Unterstützung du bekommst, wenn du konkret nach etwas fragst.


2 Comments

  1. Links der Woche 29/15: Nous parlons anglais | Comicgate Juli 19, 2015 6:27 pm  Antworten

    […] Diskurs zur Zukunft – Hemispheres Lach|witz, der (e), Alexander Lachwitz Ein Interview mit Sascha Grusche und Christopher De La Garza über ihr aufwändiges gemeinsames Comicprojekt Hemispheres, das schon vor zwei Jahren im Rahmen einer Crowdfunding-Aktion finanziert wurde. Im Oktober wird der erste gedruckte Band erscheinen, was mit einer Ausstellung und einer Filmdokumentation begleitet wird. Dazu läuft derzeit eine zweite Crowdfunding-Kampagne bei Indiegogo. […]

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