Bildete der erste Band noch eine recht gleichmäßige Mischung aus biographischen Einblicken sowie allgemeinen Erläuterungen zu Autismus und dem Asperger Autismus von dem die Autorin betroffen ist, setzt der zweite Band einen recht konkret abgesteckten Rahmen von der Pubertät bis zum Ende der Jugend. Nach dem Erfolg des Erstlings ist dieser Schritt nur zu begrüßen. Einmal Atem holen und jetzt die ganze Geschichte ausbreiten. Eine absolut stringente Biographie ist Schattenspringer² trotzdem nicht geworden. An vielen Stellen springen den Leser Querverweise zu deutlich früheren oder späteren Erlebnissen an, oder es gibt Erläuterungen zu den gegebenen besonderen Umständen.
Die Handlung setzt nicht direkt nach dem Ersten Band an, sondern irgendwo in der Mitte. Vom Begin der Pubertät an schildert die Autorin ihre Erlebnisse und vor allem die vielen Ängste die sie in jener Zeit packten. Emanzipation von den Eltern, neue Freunde finden, nach und nach sich selbst neu definieren, massig soziale Interaktion und natürlich auch die ersten zarten Bande. Die meisten kennen das und können nachempfinden, dass diese Zeit als Autist nochmal ein ganz anderer Härtegrad war. Wenn Daniela Schreiter daher dann auch von den düstersten Episoden erzählt ist das keine Mitleidsheischerei, sondern nur verständlich um ein vollständiges Bild zu zeichnen. Außerdem gilt auch hier die alte Regel, es muss erst richtig schlimm werden, bis es im nächsten Schritt besser wird.
Unter dem Motto „Man muss sich nur zu helfen wissen“ schildert die Autorin in jenem nächsten Schritt die diversen kleinen und größeren Tricks mit denen sie sich die Hürden im Alltag erleichtert. Manchmal sind es nur kleine Kniffe, dann wieder durchdachte Eselsbrücken. Wenn man glaubt man sei absolut anders als alle anderen, also quasi ein Einhorn, wie soll man da einen Partner finden? Wie ihr neunmalkluger imaginärer Begleiter und Berater, der kleine Fuchs, so passend meint „Wie wär’s denn etwas realistischer? Was kommt einem Einhorn nahe und lebt in der Realität?“
Die dazugehörige Antwort „Ein Narwal!“ kommentiert Fuchs dann auch sehr treffend mit:
„Ich glaube deine Wünsche sind gar nicht so unmöglich, wenn du etwas realistischer an die Sache rangehst.“
Teilweise wurden diese Methoden schon im Vorgänger erwähnt, doch bei der Komplexität des Themas schadet die Erinnerungsauffrischung keineswegs. Mit diesem ersten Rüstzeug gewappnet geht es auch im Studium dann endlich weiter und so ganz langsam sind auch Beziehungen nicht mehr gänzlich unvorstellbar.
Bemerkenswert ist, wie flüssig Daniela Schreiter die Erzählung trotz diverser Sprünge hält, denn unter normalen Umständen wäre das ständige Hin- und Her lediglich ein Ausdruck von schlechtem Stil. Hier fühlt man sich nie verloren zwischen den diversen geschilderten Erlebnissen. Scheinbar mühelos führt sie den Leser in einem Zick-Zack-Kurs durch die Hürden der Pubertät und bildet damit womöglich noch am treffendsten das stetige Gefühlschaos ab, das diese Zeit für viele so prägend machte. Die immer wieder eingestreuten Erklärungen bilden einen willkommenen Anker, da man schnell mal vergessen kann, dass die an sich schon prekären Erlebnisse der Pubertät für sie nochmal den besonderen Autismus-Bonus beinhalten.
Kommen wir zu einem banaleren Thema, das schon im ersten Band durchschimmerte. Mit unübersehbarer Freude präsentiert Daniela ihr Geek- und Nerdtum, von DrWho, über Videospiele bis hin zum klassischen Interesse an allem was mit Wissenschaft und Weltraum zu tun hat. Prinzipiell nichts besonderes, doch wird es hier derart offensiv präsentiert, dass man das Gefühl bekommt, diese Interessen verdienen es endlich ihren Nischenruf zu verlieren. Schluß mit den Rechtfertigungen, genießt was euch begeistert, und sei es auf den ersten Blick noch so seltsam. Selten erlebt man so ein unverkrampft stolzes aber nicht dogmatisiertes Präsentieren seiner Leidenschaften.
Der gut erklärende aber dabei nicht ins trocken dozierende Stil war schon im vorigen Band eines der großen Markenzeichen der Autorin. Für den zweiten Band kann man dies fast uneingeschränkt widerholen. Als einziges Manko kann man anführen, dass für ein besseres Verständniss der erste Band weiterhin lohnenswert bleibt. Es hätte den Rahmen des zweiten Bandes gesprengt all die gut aufgebauten Erläuterungen aus dem Erstling zu widerholen. Daher beschränkt sich Daniela Schreiter auf die wichtigsten Eckpunkte die nochmals kurz erläutert werden und treibt die Geschichte ansonsten nach und nach voran. Lobenswert sind das zusätzliche Vor- und Nachwort von Marlies Hübner und und Denise Linke (Autorin und Herausgeberin von N#MMER), die das Thema nochmal in frischen eigenen Worten erläutern. Als Sahnehäubchen hätte eine Liste an Lesetipps, sowohl digital wie analog für den Interessierten Un-/Wenig-Wissenden gedient, aber immerhin gibt es auf Danielas Blog noch eine Ecke für weiterführende Informationen. Als Fortsetzung funktioniert der Band abgesehen davon sehr gut. Aber wenn eine 2 im Titel steht, ist es naheliegend dass der erste Band wohl auch Sinn macht. Irgendwie…
Wie die Autorin schon im Vorwort erwähnt, manches lässt sich zeichnerisch besser ausdrücken als mit Worten. Daher springen den Leser immer wieder verschiedenste strichgewordene emotionale Extremzustände entgegen, die oft nur wenig Erklärung benötigen. Man wird frappant an Schloggers Hang absolut jedes noch so verrückte Gefühl zu visualisieren (was sie mit erschreckender Regelmäßigkeit schafft) erinnert, obgleich bei Daniela das textliche Erzählmoment überwiegt. Man spürt wie wichtig es ihr ist, dass die Leute einen verständlichen Einblick in ihre Wahrnehmung der Welt bekommen. Denn es ist gerade bei Autisten ja nun nicht so, dass sie sich ihre veränderte Wahrnehmung bewußt aussuchen. Sie müssen damit leben und sind auf Toleranz und Verständnis angewiesen, ohne deswegen gleich wie rohe Eier behandelt zu werden. Erschwerend kommt hinzu, dass Autismus eine vergleichsweise junge Diagnose ist, die noch dazu von Außenstehenden nur all zu oft mit Scheinkrankheiten oder dem inzwischen arg angestaubten Rain-Man verwechselt wird.
Als tragische Pointe bleibt am Ende die Erkenntniss, dass all diese Hürden genommen wurden, ohne dass die Diagnose auf Autismus bekannt war. Diesen wichtigen Schritt erlebt der Leser erst gegen Ende und er sorgt für ein neuerliches Innehalten. Als Zuschauer kannte man von der ersten Seite an die Umstände, doch muss man sich spätestens an diesem Punkt noch einmal bewusst machen, wie sich solch ein Leben anfühlen muss wenn man nicht einmal weiß, dass man tatsächlich auf eine bestimmte Art ganz anders ist als die meisten anderen. Gerade heutzutage sieht man wieder einmal sehr schnell, wie rasch es mit der Toleranz vorbei ist und man fängt an sich zu schämen. Wie schon der erste Band trägt auch der zweite die stille aber sehr ergreifende Botschaft, dass wir unseren Mitmenschen schlichtweg mehr Toleranz und Aufmerksamkeit entgegenbringen sollten, anstatt jede scheinbare Marotte als Vorlage für eine Vorverurteilung zu nutzen.
Schattenspringer² erzählt dasselbe Thema wie sein Vorgänger, allerdings mit neuen Facetten und einem lachenden sowie einem weinenden Auge, aber immer unterhaltsam und packend.
Daniela Schreiter – Schattenspringer
Panini
ISBN: 978-3957983084
160 Seiten
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Text Copyright 2015 Alexander Lachwitz
Artwork Copyright Daniela Schreiter – Panini