Wer mir über Twitter folgt, hat es sicher schon mitbekommen; seit letztem Winter bin ich (nicht nur wegen Episode VII) ein begeisterter X-Wing Spieler und belästige jeden damit, der nicht bei 3 auf dem Baum ist. Wobei… die eigentlich auch. Aber was hat es mit diesem Figürchenspiel auf sich und warum mischt es in den letzten Jahren so erfolgreich den Markt zwischen klassischen Brettspielen und Tabletops auf?
Ist X-Wing nur ein weiteres Nerd-Hobby, ein Geheimtipp für die sozial schrägsten Paradiesvögel, die Roys und Moss’s der Szene? Mitnichten. X-Wing ist ein sogenanntes Tabletop-Spiel von FantasyFlightgames, seit 2012 auf dem Markt und macht sowohl dem Platzhirsch Games Workshop (Warhammer, Warhammer 40.000 und die Hobbit/Herr-der-Ringe-Lizenz-Tabletops) als auch anderen etablierten Größen ernsthafte Konkurrenz. Hierzulande wird es vom Heidelberger Spieleverlag vertrieben. Ziel des Spiels ist es, mit einem eigenen Geschwader von Raumschiffen die gegnerischen Schiffe in actionlastigen Jagdmanövern, sogenannten Dogfights, auszumanövrieren und abzuschießen. Der Erfolg des Spiels lässt sich rückblickend vor allem durch folgende Faktoren erklären:
– einfache Regeln
Anders als viele Rollenspiele und Tabletops wird man hier nicht mit einem Regelwerk mit dreistelliger Seitenzahl erschlagen. Alle Grundregeln kommen in einem dünnen Flyerheft daher und kränkeln höchstens an ein paar nicht sehr klaren Formulierungen. Zum Glück gibt es eine sehr aktive Community in der man sich via Facebook, Whatsapp-Gruppen oder im Forum Mos-Eisleys Raumhafen schnell und einfach Rat holen kann.
Schon die Einstiegsbox bietet schnellen und taktisch fordernden Spielspaß.
– vorbemalte hochwertige Figuren für einen vergleichsweise günstigen Preis
Schon mit dem Basisspiel hat man genug taktische Möglichkeiten die auch tatsächlich länger anhaltend fordern. Man kann sich eine ganze Weile damit befassen bis man ansatzweise alle Facetten erschöpft hat. Und danach ist man mit ca. 30€ für eine weitere Grundbox oder 10-17€ für einfache Zusatzschiffe immer noch günstig dabei.
– professionelles und gleichzeitig einsteigerfreundliches Turnierwesen
Natürlich gibt es auch hier verbissene Profispieler und zig Diskussionsgruppen die sich mit der mathematischen Akribie von Codeknackern mit dem ‚Meta‘, den möglichst effektivsten Kombinationen innerhalb der Regeln befassen. Aber die Mischung aus Taktik, Würfelglück und Pokerkönnen sorgt dafür, dass man auch als Neuling gegen Erfahrene Spieler ein spannendes Match erleben kann.
– Überschaubare Spieldauer
Zwar können die Spiele bei größeren Flotten gern auch mal einen halben Tag oder noch länger dauern, aber das normale Durchschnittsspiel schafft man durchaus in 1-2 Stunden. Man braucht also kein ganzes Wochenende einplanen. Mein persönlicher Rekord liegt im übrigen bei 45 Minuten 😉
Wie läuft das jetzt im Detail ab?
Zwei Spieler stellen sich eine Flotte zusammen (ein überschaubares Punktesystem sorgt dabei für Chancengleichheit auch bei unterschiedlich vielen Schiffen pro Spieler) und stellen diese auf einem Spielfeld (üblicherweise 90x90cm) auf. Dafür kann jede beliebige Oberfläche herhalten. Taktische Varianz durch Asteroiden und Trümmerschwärme wird durch kleine Pappmarker dargestellt. Aufwendiges Gelände ist also ebenfalls nicht nötig. Wer dennoch mehr Atmosphäre haben will, kann sich eine Spielfeldmatte kaufen oder selber bauen (TeMeL hat hier eine schönes Beispiel beschrieben).
Die Schiffe werden dabei sowohl durch den Schiffstyp als auch durch den eingesetzten Piloten und dessen eventuelle Fähigkeiten definiert. Dazu kommen optionale Aufwertungskarten wie Raketen, Scanner, Astrobots oder Elitetalente. All das kostet natürlich ebenfalls Punkte, so dass man die Qual der Wahl hat möglichst viele Schiffe mit wenig Aufwertungskarten ins Feld zu führen, oder wenige Schiffe mit sehr viel Ausrüstung. Ein beliebtes Beispiel dafür ist der sogenannte „Fat Han“, bei dem man Han Solo im Millenium-Falken mit diversen Aufwertungskarten einsetzt. Daneben ist dann meist nur noch Platz für einen X-Wing oder anderen Begleitjäger, da „Fat Han“ von den üblichen 100 Punkten für eine Partie schnell 60 oder mehr belegt.
Ein Beispiel für einen einfachen TIE-Schwarm, viele einfache Piloten mit wenig Aufwertungskarten, mit Ausnahme von Soontir Fel rechts im Bild, einem legendären Imperiums-Ass.
Jeder Spielzug läuft nach einem festen Schema ab. Zuerst wird über ein sogenanntes Manöverrad definiert in welche Richtung und mit welchem Tempo sich die Schiffe bewegen. Das bringt ein angenehmes Pokerflair mit ins Spiel, da man nicht nur die Bewegungen seiner eigenen Schiffe berücksichtigen muss, sondern auch abschätzen muss, welche Manöver der Gegner fliegen wird. Durch die Manöverschablonen werden im übrigen auch Maßbänder und aufwendiges Abmessen komplett eliminiert. Wenn alle Manöver festgelegt sind, werden diese nach Fähigkeit der Piloten sortiert umgesetzt. Das Schiff des schlechtesten Piloten bewegt sich zuerst und der beste Pilot bewegt sich zuletzt. Der Sinn dahinter liegt in den „Aktionen“. Nachdem ein Schiff seine Manöverbewegung ausgeführt hat (zum Beispiel eine weite Linkskurve) kann es noch eine vom Schiffstyp und Ausrüstung abhängige Aktion ausführen. Damit kann derjenige, der sich zuletzt bewegt einen deutlichen taktischen Vorteil erhalten indem er zum Beispiel noch einmal Schub gibt und sich damit noch gerade aus dem Feuerwinkel der Gegner bewegt oder selbst eine günstigere Position einnimmt.
Danach wird das Feuer eröffnet, sprich jedes Schiff, das ein feindliches Schiff im Feuerwinkel (üblicherweise ein 45°-Winkel vor dem Schiff) und Reichweite hat, kann versuchen es zu treffen. Werden auf diese Weise alle (ggf. vorhandenen) Schild- und Rumpfpunkte des Verteidigers beseitigt, ist das Schiff zerstört. Hier schießt nun der beste Pilot zuerst. Verfeinert wird das System durch optional aufladbare Schilde, kritische Treffer mit besonderen Folgewirkungen und auch hier wieder den Aufwertungskarten.
Was beim Lesen möglicherweise sehr umfassend und erschlagend klingt, ist im Spiel selbst sehr schnell verinnerlicht. Fast alles geht aus den Texten der Aufwertungskarten hervor und auch Ergänzungsregeln für Sekundärwaffen wie Raketen, Torpedos, Geschütztürme etc. Minen und Bomben sind nach dem ersten Einsatz meist schon verinnerlicht.
Wer das ganze einmal in Aktion erleben will, kann auf YouTube diverse Spielberichte finden. Bei Tabletops und SciFi darf natürlich Will Wheaton nicht fehlen, auf dessen YouTube-Kanal es einen besonders für Einsteiger sehr interessanten Spielbericht gibt, der auch viel vom besonderen Flair vermittelt.
Wie schon erwähnt lebt das Spiel neben Taktik und Würfelglück vor allem vom Pokerflair. Bei jedem Zug muss man abschätzen wie sich der Gegner verhält und ob dessen wahrscheinliche Manöver gelingen werden. Denn auch Profis können sich bei den Bewegungen schnell einmal verschätzen und ehe man sich versieht, hat man den Gegner nach einer gekonnten 180°-Wende doch nicht vor den Lasergeschützen oder streift doch das Asteroidenfeld und erleidet durch einen unglücklichen Wurf fatalen Schaden. Das resultiert in einer Spannung und Schadenfreude ob kleiner aber effektiv fataler Patzer die man sonst fast nur von leidenschaftlichen MarioKart-Partien her kennt…
Bevor wir zum Ende kommen, will ich noch kurz auf das Hobby rund ums Hobby eingehen. Denn wie viele Tabletop-Systeme liegt ein großer Reiz nicht nur am Spiel selbst, sondern auch dem ganzen Drumrum. Besonders bei einem starken Franchise wie StarWars geht das natürlich schon bei der Auseinandersetzung mit den Schiffen und ihren Piloten los. Denn letztere finden sich fast ausnahmslos alle im alten Expanded Universe wieder, sind aber auch durch die neuen Filme vertreten. Dem gängigen StarWars-Fan sind Personen wie Biggs Darklighter vielleicht nur lose ein Begriff, für X-Wing-Spieler sind sie die großen Helden der Rebellion die hier endlich aus dem Schatten von Skywalker & Co. treten können.
Zwar kommt bald auch ein vorbemalter schwarzer X-Wing, aber wer darauf nicht warten will…
Doch auch die eigenen Schiffe und Manöverkarten will man sorgsam pflegen und erstere vielleicht auch mal ummalen oder umbauen. Auch dazu gibt es im Netz in der Community viele Beiträge und Vorschläge an denen man sich orientieren kann. Siehe dazu auch die Linksammlung am Ende des Artikels.
Tja und wie läuft der Einstieg nun am einfachsten ab?
Anders als bei anderen Tabletop-Spielen kann man X-Wing tatsächlich sehr unbedarft ohne Einstiegshelfer angehen. Die Regeln in der Grundbox sind ausreichend gut erklärt und wenn man sich an den dortigen Einstiegsleitfaden hält, kann man nicht viel verkehrt machen. Ohne die Komplexität der Aufwertungskarten und kritischer Treffer dauert es nur Minuten bis man seine X-Flügler in waghalsigen Manövern gegen TIE-Geschwader antreten lässt. Mit den drei Schiffen aus der Grundbox kann man sich tatsächlich sehr lange beschäftigen und danach steht einem eine sehr umfangreiche Palette an Erweiterungen offen. Die Grundbox selbst ist preislich sehr attraktiv, so dass eine zweite oder gar dritte (oder ggf. die alte rote* Box, in der man noch die alten X-Wings und TIEs erhält, die immer noch gern gespielt werden) nicht verkehrt sind. Darüber hinaus ist es jedem selbst überlassen, ob er lieber schnelle Jäger wie den TIE-Interceptor bzw. A-Wing, schwere Bomber wie Y-, B-, bzw. K-Wing, TIE-Bomber, TIE-Jagdbomber sowie den TIE-Punisher oder eher raffinierte bzw. fortgeschrittene Schiffe wie den E-Wing, TIE-Advanced oder TIE-Phantom besorgt. Als weitere Option lohnt ein Blick auf die dritte Fraktion bestehend aus Abschaum und Kriminellen. Die Möglichkeiten sind schier endlos und wenn man nicht rein auf effektives Turnierspiel aus ist, bietet einem eigentlich jede Schiffserweiterung eine ganze Menge Spielspaß für kleines Geld.
Ab einem gewissen Punkt fällt es dann vielleicht schwer noch eine gute Übersicht über all die Piloten und Aufwertungskarten zu haben, vor allem wenn man versucht eine schlagkräftige Flotte zusammenzustellen. Doch auch hier punktet das Spiel durch die aktive Community. Sowohl für iOS als auch Android gibt es Squad-Builder-Apps. Unter letzterem gibt es inzwischen eine ganze Reihe, von denen vor allem der X-Wing-Squadron-Builder wirklich eine Empfehlung ist. Unter iOS gibt es zwar bisher nur den Aurora Squad Builder, aber der Entwickler bemüht sich um regelmäßige Updates. Er kommt zwar noch nicht an sein Android-Pendant heran, tut aber alles was man braucht und läuft sehr stabil. Als dritte Alternative (da er auch auf Mobilgeräten läuft), empfiehlt sich die Webseite (Yet Another) X-Wing Miniatures Squadron Builder.
Für die analoge Verwaltung der Karten gibt es von diversen Herstellern inzwischen Folienhüllen um alles in Ordnern zu sammeln. Eine nette Alternative sind die Tuckboxen von Sir Willibald. Persönlich kann ich für die Manöverräder und die Piloten-Base-Plättchen Folienseiten aus dem Münzsammlerbereich empfehlen, die man zum Beispiel hier bei Fischkrieg erhält. Damit will ich nun aber auch zum Ende kommen.
Fazit
Kritik zu üben fällt schwer. Am ehesten muss man noch die an manchen Stellen nicht ganz klar definierten Regeln ankreiden. Dass auch die neue Grundbox noch immer dieselben unklaren Formulierungen enthält wie die alte Box, ist und bleibt unverständlich. Das schon erwähnte ‚Meta‘ spült zwar immer wieder mal Schiffskombinationen nach oben die zuerst übermächtig erscheinen, aber wirklich dominierend sind diese Listen dann zum Glück doch nicht, was auch an den regelmäßigen Neuerscheinungen liegt. Mit 1-2 neuen Wellen pro Jahr gibt es einen stetigen aber nicht erschlagenden Umfang an neuen Schiffen. Grundsätzlich bringt jedes neue Schiff wieder diverse neue taktische Möglichkeiten in die eigene Sammlung und wenn man nicht jede Woche seine festen Spielrunden hat, wird man durch die stetigen Neuerscheinungen zum vergleichsweise kleinen Geld lange Zeit mehr als genug zu Entdecken haben.
Dank einer aktiven Community gibt es auch eine kleine aber feine Auswahl an unterstützenden Apps sowie Nebenprodukte wie Tuckboxes, Plastikmanöverschablonen und vieles mehr mit dem man sich eindecken kann, für das aber auch gar kein Zwang besteht.
So gesehen also ein Spiel für jede Art von Geek. Und für alle Trekkies gibt es mit Attack-Wing fast dasselbe mit der Enterprise und Co. 🙂
Kaufen könnt ihr X-Wing in diversen Ladenlokalen. Schaut einfach nach den Logos von Fantasyflightgames bzw. Heidelberger Spieleverlag im Schaufenster. Auch im Netz kann man natürlich fündig werden. Ein guter Händler ist beispielsweise Fantasywelt.
* rote Box
Man bezeichnet die erste Grundbox, die 2012 erschien aufgrund der roten Markierungen an den X-Wings als rote Box, während die neue Grundbox die passend zum neuen StarWars-Film letzten Herbst erschien, dementsprechend als blaue Box bezeichnet wird. Aktuell sind beide, lediglich die Schadenskarten wurden überarbeitet, so dass die meisten Spieler eher die Karten aus der neuen blauen Box benutzen. Alle anderen Inhalte sind weiterhin uneingeschränkt nutzbar.
Weiterführende Links:
– Belloflostsouls ist nicht nur für X-Wing, sondern so ziemlich jede Art von Tabletopnews eine gute Anlaufstelle
– Mos Eisley Raumhafen – schlichtweg DIE große deutsche X-Wing-Community. Man muss ein wenig stöbern bis man sich als Neuling zurechtfindet, aber trotz vieler Meta-Diskussionen eine freundliche Atmosphäre
– Team Unicorn – Der Blog des X-Wing Teams Deadly Flying Pink Unicorns of Death, Doom and Destruction. Trotz des Titels ein sehr lesenswertes Blog, auf dem es nicht nur Turnierberichte, sondern vor allem Besprechungen neuer Schiffe und Vorstellungen einzelner Taktiken gibt. Wer sich genauer mit den Mechanismen beschäftigen will und keine Berührungsangst mit dem Meta hat, ist hier richtig.
– Sir Willibalds Tuckboxes – Hier gibt es kostenlose Druckvorlagen um sich Hangarboxen und diverse Lagerungs- und Sortierboxen für die ganzen Piloten- und Aufrüstungskarten zu basteln. Wer keine Lust auf Ordner hat und Spaß an Papierarbeiten hat ist hier richtig.
– Games on Tables berichtet über alle Arten von Tabletop-Spielen, präsentiert aber auch immer wieder sehr gute Erklär- und Vorstellungsvideos zu X-Wing, und das auch noch auf Deutsch.
edit: Gerade wurde ich noch auf zwei weitere Links aufmerksam gemacht
– Weiterspielen – Ein Blog das sich vor allem mit Star Trek Attack Wing, aber auch anderen Tabletop- und Kartenspielen beschäftigt.
– Neutrale Zone – Quasi das Gegenstück zum Raumhafen für alle Trekkies.
Schon die Einstiegsbox bietet schnellen und taktisch fordernden Spielspass.
Und nach den ersten bestandenen Dogfights…
… wagt man sich langsam an neue Schiffe
Wer wie hier in die Klammer genommen wird, kann sich in der Regel vom Schiff verabschieden
Ordnungshelfer für lau, von den Druckkosten mal abgesehen.
Die Pinselschwinger können sich an Umbemalungen austoben
Für den Anfang reicht ganz wenig
Ein einfaches Tuch erhöht das Flair deutlich
Oder man gönnt sich eine der hochwertigen Spielmatten
Listen können nach Effektivität, aber auch nach Hintergrund gestaltet werden.
Boba Fett fliegt sowohl für das Imperium als auch für die Kriminellen. Was für ein Abschaum!
Sehr schöner Artikel!
Als großer Star Trek Fan freue ich mich natürlich besonders über deine Erwähnung von Star Trek Attack Wing.
Wenn du magst, kannst du dahin gehend auf unseren weiterspielen.net Blog und das deutschsprachige STAW Forum NeutraleZone.net verweisen.
Letzteres ist das Gegenstück zum MER und ein
Schwester Forum
Sehr cool – danke!