Mach's kurz
Ok zeig mir alles
Videospielreferenzen bis zum Abwinken, 80er-Musik-Perlen und dazu das inszenatorische Meistertalent Spielberg. Ready Player One ist astreines Popcornkino und übertrifft tatsächlich das Buch.
Soviel zum Guten. Und ja, der Film toppt das Buch trotz der veränderten Referenzen und Handlung, aber dazu später mehr. Reden wir zuerst etwas über die Buchvorlage, denn das ist bei allem Hype doch einmal nötig. Tatsächlich ist Ernest Clines Bestsellerroman ein ungemein unterhaltsames Buch; seit Jahren hatte ich bei kaum einer Buchlektüre so viel Spaß, es mangelt ihm aber an innovativen Ideen, ansatzweise tiefgründigen Charakteren oder einer Botschaft die wenigstens etwas zum Nachdenken anregt. Nichts davon ist für ein gutes Buch zwingend nötig, bedenkt man aber den Kultstatus den das Buch hat, fällt es aber doch auf. Ein Jugendbuch sollte sich wenigstens zu einem geringen Teil seines prägenden Potenzials bewußt sein. Teile der Darstellung haben eine Naivität, die man durchaus ankreiden kann.
Ich gehe fortan davon aus, dass die grobe Rahmenhandlung bekannt ist, der Trailer verrät im Grunde alles was man wissen muss. Daher will ich gleich auf ein paar beispielhafte Aspekte des Buchs eingehen. Ich werde es nicht schlechtreden, lediglich seinen Ruf etwas zurechtrücken und überhöhte Erwartungen an den Film vermeiden.
Was wäre da zuerst? Natürlich die Darstellung der virtuellen Welt Oasis und ihrer Bedeutung. Klar, die echte Welt ist im Eimer, da sind virtuelle Welten eine willkommene Rückzugsmöglichkeit. Allerdings beschäftigt sich Cline so gut wie nie in seinem Buch mit den möglichen Gefahren. Sucht, Wahrnehmungsverschiebungen und andere Probleme, die wir schon jetzt real erleben, sind Cline scheinbar egal. Lediglich auf den letzten Drücker ermahnt er gegen Ende den Leser den Kontakt zur Realität nicht zu verlieren. Konträr dazu feiert er aber die grenzenlosen Möglichkeiten des Cyberspace ohne wenn und aber. Spielberg hat dies offenbar erkannt und versucht diesen Aspekt im Film wenigstens etwas ausgeglichener darzustellen. Vielleicht war es aber auch Cline selbst, da er am Drehbuch mitgeschrieben hat und sich inzwischen der Mängel seines Buchs bewusst sein könnte.
Dann das Thema mit dem Sterben. Achtung Spoiler!
Während im Film nur die ungeliebte Tante der Hauptfigur Wade Watts, sowie einige Anwohner vom machthungrigen Konzern IOI getötet werden, trifft es im Buch auch einen aus Wades Clique. Diese Änderung ist schade, aber verschmerzbar. Viel ärger wirkt der lieblose Umgang mit dem Tod sowohl im Film als auch im Buch. Es ist lediglich ein Motivator, damit die Gruppe sich zusammenrauft und um zu zeigen wie böse ihr Gegenspieler ist. Dabei ist der ganze Weg dahin, die Konfrontation mit dem CEO von IOI und das Jobangebot sowohl im Buch wie Film dramaturgisch solide aufgebaut. Aber der Tod von Angehörigen ist hier ein derartig oberflächliches Konstrukt, das man sich wirklich fragt ob das für ein Jugendbuch angebracht ist.
Dann zu den mangelnden Innovationen. Das Buch ist von 2011. Zu der Zeit war das iPhone vier, Facebook sieben und Second Life sogar schon acht Jahre alt. Von diversen Virtual-Reality-Versuchen ganz abgesehen. Lediglich Minecraft kam erst im selben Jahr heraus. Ernest Cline hat nur auf dem aufgebaut, was es schon gab und daraus eine Melange gemacht. Diese ist ihm sehr gut gelungen und macht wie schon erwähnt verdammt viel Spaß. Aber sie ist in keiner Weise nennenswert innovativ, nicht wenn man das Buch in eine Reihe stellen will mit Snow Crash oder gar Neuromancer. Cline geht keine Schritte nach vorne, sondern träumt nur von dem, was schon längst absehbar ist.
Es gibt ein paar gute Ideen wie die freie Bildung und Medien so wie sehr viele lebendige Szenarien, die Cline mit einer guten Mischung aus Dialogen und Actionszenen zu füllen weiß. Im ersten Drittel gefallen zudem die Verweise und Erläuterungen auf die Geschichte der Videospiele sowie Ausflüge zu Kino und Musik. Allerdings… und das schreibe ich nur ungern, da ich diese Anekdoten mögen will… gelingt es Cline nicht, damit wirklich emotional zu werden. Nur ganz selten spannt er einen Bogen wie die Faszination der Spiele einen emotionalen Kern in den Figuren berührt. Meistens macht er dies nur indirekt indem er die Begeisterung Hallidays schildert, dem Firmengründer und Schöpfer der Oasis. Wade verkommt so zu einem willenlosen Fanboy des überhöhten Schöpfers Halliday. Ob am Ende nicht Halliday der eigentliche Antagonist des Szenarios ist, wird übrigens in diesem Artikel bei TheMarySue sehr gut behandelt.
Aber welche Faszination die Hauptfigur Wade an diesen Spielen hat, außer sie zu spielen und über sie zu diskutieren wird leider nie richtig ersichtlich, bis auf zwei banale Gründe. Der erste und bessere ist noch die Realitätsflucht aus seinem wirklich bedrückenden Leben. Damit ist er aber nur ein Paradebeispiel für seine ganze Generation. Was macht Wade so besonders?
Dies versucht Cline mit dem zweiten Grund zu belegen: die Jagd auf Hallidays Easteregg. Der Finder bekommt Hallidays Firma, die Oasis und Unmengen an Geld. Aber um es zu finden muss man die Leidenschaft für die 80er, speziell eben Videospiele, Musik und Filme teilen. Und so sehr Wade auch als typischer Underdog dargestellt wird, etwas langweilig, etwas übergewichtig; er ist praktisch der beste Kenner Hallidays in dieser Geschichte. That’s it. Dramaturgisch funktioniert das für die Handlung. Aber lebendige Figuren entstehen so nicht.
Warum schreibe ich so viel über diese Mängel? Das Buch ist nicht schlecht, keineswegs. Es ist gut. Vom Unterhaltungsfaktor sogar verdammt gut! Aber genau deswegen ärgert man sich über diese Banalitäten. Ich erwarte keinen Umberto Eco und auch keinen Neal Stephenson. Letzterer hat mit dem unterhaltsamen aber teilweise auch sehr sperrigen Error quasi das intellektuell anspruchsvolle Gegenstück zu Ready Player One verfasst. Es ist sehr lesenswert wenn man Stephensons schrägen Humor mag. Aber es fordert dafür eine Menge Geduld vom Leser. Ready Player One zündet sofort.
Wer die oben genannten Punkte im Buch anders wertet wird dementsprechend wahrscheinlich den Film schlechter beurteilen. Daher versuche ich die in meinen Augen positiven Aspekte des Films transparent zu begründen.
Also, zurück zum Aufmachertext. Während die meisten Buchverfilmungen oft nur ein schlechter bis mittelmäßiger Abklatsch sind und lediglich eine von vielen möglichen Arten der Visualisierung des geschriebenen Wortes darstellen, wertet Spielberg das Buch durch eine sanfte Grunderneuerung tatsächlich auf.
Wie schon erwähnt: die Figurenzeichung hat ein paar ergänzende Details bekommen. Artemis erhält eine eigene Nebenhandlung in der sie IOI infiltriert und der Gruppe so bitter benötigte Chancen gegenüber dem allmächtig wirkenden Konzern in die Hand spielt. Im Buch war es noch Wade selbst der hier nur mittelmäßig gut geschrieben einen raffinierten Plan umsetzt, ohne dabei echtes Nervenflattern zu kriegen. Wade… ein Junge mit Bindungsängsten, der sich kaum aus seiner gewohnten Umgebung gewagt hat und daher auch nicht viel Erfahrung damit hat wie man andere, erst recht irgendwelche Konzerntypen, hereinlegen kann. Er besorgt sich die dazu nötigen Infos quasi im Darknet. Das ist alles, was Cline dazu einfällt.
Ganz anders die Film-Artemis, die überraschend eingesperrt wird und in der Not improvisiert. Da sie schon lange aktiv im Widerstand ist, kann man ihr derartige Guerilla-Aktionen viel besser Abnehmen. Der Widerstand ist übrigens ebenfalls eine Änderung im Film. Allerdings ist das ganze hier auch nur ein besseres Hilfskonstrukt und wird nicht weiter ausgeführt. Aber er funktioniert ausreichend um Artemis zu etwas mehr als nur einem einfachen Love-Interest zu machen.
Was im Film dafür leider viel kürzer treten musste, sind die Ausflüge in die Anfangsjahre der Videospiele. Wer wie ich gehofft hatte, dass die Quest für den ersten Schlüssel wirklich ein Ausflug in einen minimalistischen Dungeons&Dragons-Dungeon wird, muss die ersten Minuten des Films tapfer bleiben. Ja, das affektüberladene Autorennen wirkt erstmal wie eine ziemliche Frechheit im Vergleich zu dem wirklich gelungenen Dungeon im Buch. Aber Tatsache ist, das Rennen funktioniert sehr gut. Vielleicht hätte man das Erkunden des Dungeons sowie das Tjostduell am Ende auch in den Film transferieren können. Allerdings wäre das Risiko eines Scheiterns ziemlich hoch gewesen und vor dem Hintergrund ist das Rennen durchaus als guter Ersatz akzeptierbar. Immerhin gibt es am Ende des Films noch einen kurzen Ausflug zum Klassikervideospiel Adventure und ein paar erläuternde Worte die man sich wohl aus dramaturgischen Gründen bis dahin aufgespart hat.
Persönlich war die veränderte Testamentseröffnung und Start der Jagd auf das Easteregg der größte Verlust. Hier hat Cline eine seiner besten Szenen geschrieben die man schon symbolisch für alle Stärken des Buchs heranziehen kann. Locker, behände und so dass man schon die Musik zwischen den Seiten herausklingen hört, führt Halliday den Leser durch seine Welt, wandert von 80er-Jahre Filmen und Spielen bis hin zu realen Orten seiner Jugend. Damit erläutert er nicht nur worum es ihm mit der Oasis geht und worum sich die folgende Schnitzeljagd dreht. Er liefert in dieser Szene auch eine sehr gelungene Zusammenfassung was überhaupt den Charme der Retrokultur ausmacht. Zurück zu den Anfängen, zu den einfachen Spielen die die Grundlage all unserer heutigen Lieblingszeitfresser bilden. Das schreit geradezu nach einer visuellen Umsetzung auf der großen Leinwand. Statt dessen gibt es eine erläuternde Szene die über das Attribut mäßig nicht hinauskommt und quasi stellvertretend für alle Probleme bei Buchadaptionen stehen kann.
Dass Spielberg diese Collage aus Vergangenheit und Filmwelten hinkriegen würde zeigt er später im Film. Auf der Suche nach einem der Schlüssel begibt sich die Gruppe in eine Szenenkollage aus Kubrick’s Horror-Klassiker Shining. Wie hier CGI-Figuren vor nachgebauten Kulissen und stellenweise sogar in das alte Bildmaterial eingearbeitet werden ist schlichtweg ein Genuss. Spielberg, der selbst sehr eng mit Kubrick befreundet war, hatte sichtlich Spaß daran sich im Set seines alten Freundes und Mentors auszutoben. Mehr zu den Meta-Details dieser Szene und der Beziehung der beiden Regisseure kann man im übrigen hier nachlesen. Neben der Testamentseröffnung gibt es im Buch einige weitere Passagen in denen Handlungen oder Orte aus Filmen nachgestellt werden und als Leser fragt man sich schon, ob und wie das funktionieren kann. Spielberg hat gezeigt dass er es kann, der Film aber offensichtlich nicht genug Platz bot um mehr davon unterzubringen.
Strittig ist sicherlich der CGI-Stil der Charaktere. Hier findet bei allen Figuren eine mal mehr mal weniger starke Überzeichnung statt. Überall wird mit unterschiedlichen, aber doch zusammenpassenden Spielarten der Verpixelung gearbeitet. Das mag nicht jedem Gefallen, sollte aber in einem Film, der in einer virtuellen Welt spielt, nicht überraschen. Persönlich hat mir der Stil sehr gefallen (was zugegeben auch an meinem Arbeitsfeld in der CGI-Branche liegen kann), da er viel Varianz zeigt und das leidige Problem des Uncanny-Valley durch die Übertreibung mit großen Augen oder schlichter ‚Plastik‘-Haut umgangen wird.
Auffallend ist die starke Verweisbindung zu Zurück in die Zukunft. Im Buch ist der Klassiker nur eines von vielen Verweiszielen. Spielberg hat sich bewußt dazu entschieden Zemeckis Meisterwerk quasi als stilistischen Kompass zu nutzen. Das fängt beim DeLorean an, geht über das Timing und endet bei der musikalischen Untermalung. Dass letztere daher von Alan Silvestri kommt, der sich damit immer wieder selbst zitieren darf, passt natürlich. Und niemand kann bestreiten, dass der Originalscore zu Zurück in die Zukunft inzwischen ein Musterbeispiel für rasante Abenteuerunterhaltung darstellt. Das ist inspirierte Kopiererei, die Spaß macht.
Noch eine weitere Anmerkung, da der Film in den Trailern den Eindruck erwecken kann, in einer beliebigen CGI-Massenschlacht zu kulminieren. Ja, der Endkampf ist ok, gehört aber nicht zu den erinnerungswürdigsten Szenen. Trotzdem stellt sie zusammen mit dem Rennen vom Filmbeginn zwei Musterbeispiele, wie gutes Timing in von reinem CGI-Bombast dominierten Szenen aussehen sollte. Man kriegt jederzeit noch genug mit um am Ball zu bleiben, kann sogar einige der vielen Referenzen erkennen, ist aber durch letztere nicht zu stark abgelenkt. Wäre das Tempo langsamer, würde man anfangen sich in den Referenzen zu verlieren. So folgt man dem roten Faden, kriegt aber ein gutes Gefühl für das retrogeladene Ambiente und behält sich genug Details für spätere Sichtungen vor, sofern man nicht eines der zig „Hier sind alle Easter-Eggs“-Videos auf YouTube zu Rate zieht. Soweit sind wir schon…
Schlussgedanke:
Es ist so ein Ding mit der Retrokultur. Ähnlich wie Graphic Novel wird der Begriff immer häufiger als Marketingvehikel missbraucht und es fällt zusehends schwerer echte und gute Retro-Elemente herauszupicken, die mehr sind als reiner Selbstzweck. Ob nun der Film oder das Buch besser ist, ist Geschmackssache. Das Buch liefert mehr Details und deutlich mehr Verweise, krankt aber dafür an teils zu zitatartig-wirkenden Beschreibungen und schlechten Charakterzeichnungen. /ReadyPlayerOne/ gehört zu den besseren Werken in der aktuellen Retrowelle, da er tatsächlich Lust auf einige alte Klassiker gibt. Ein unterhaltsames Werk, das mit nicht zu viel Ernst genossen werden sollte, sonst gibt es Sodbrennen.
Wer das Buch gelesen hat und es nicht als heilig betrachtet, viel Spaß mit dem Film. Er wird gefallen!
Wer das Buch gar nicht kennt und die Retrowelle mag. Ab ins Kino! Wer auf einen hervoragenden Cyberpunk-Film und oder etwas mit Nostalgie und Tiefgang erwartet… greift lieber zu BladeRunner (alt oder neu) oder Automata. Ich warte ja auch immer noch auf meine Neuromancer-Verfilmung…