Blood Stained Snow

Gedruckt sind die ersten drei Kapitel verfügbar, Online kann man schon bis ins vierte lesen.

Wenige Worte, klare Linien, ein detailliertes Setting, dynamische Posen und gekonnter Panel-Aufbau; das sind einige der prägendsten Merkmale mit denen man Genji Otoris Fantasy-Saga Blood Stained Snow umreissen kann. Bei keinem dieser Aspekte reden wir dabei von lediglich erkennbaren Talent oder möglichen Potenzial das noch freigelegt werden muss. Hier liegt eine Arbeit vor die zweifellos den Stempel „professionell“ verdient. Warum also muss man dieses Werk noch immer mühsam auf Messen und Cons direkt bei der Zeichnerin erwerben?

Da wären wir wieder beim (üblichen) Thema Manga und Wahrnehmung. Ist es noch immer so, dass wenn man nicht auf Animex aktiv ist, man viel von der hierzulande sehr aktiven Szene verpasst? Möglich. Twitter und vor allem Facebook scheinen für dieses Medium zwar auch empfänglich zu sein, aber dort herrscht auch wieder die Willkür der Sichtbarkeit bedingt durch die Menge der Anhängerschaft. Aber das weiter auszuführen wäre ein eigenes Thema für die alte Artikelreihenidee How to read Webcomics. Also zurück zu Genji Otori.

Mein Erstkontakt bestand in dem ersten Heft der Cyberpunk-Story Ballade der Unendlichkeit. Knallbuntes Neoncover und herrlich übertrieben dramatisch-dynamischen Posen. In manchen Genres braucht es nicht viel um mich zu anzufixen. Dieser Comic hatte Potenzial und besaß die übliche Mischung aus „da arbeiten wir noch dran“ und „whoa“. Kurzum ich war getriggert. Der (inzwischen für mich fast schon obligatorische) Gang zu Patreon zeigte mir Genjis aktuelle Arbeiten. (Zum Zeitpunkt dieses Artikels ruht Genjis Patroen, also nicht wundern wenn man dort nichts sieht). Und ich gestehe, ich war erstmal erschlagen und abgeschreckt. Detaillierteste Zeichnungen historisch-japanisch-anmutender Truppen, Schlachtengemälde und viel Text zu den entsprechenden Recherchen. Das war zum kurzweiligen Stöbern tatsächlich zu viel für den Moment und so verfolgte ich den Fortgang ihres Hauptprojekts Blood Stained Snow erstmal nur nebenbei. Die Menge an Inhalt die hier geboten wurde gehört zu dem was sich für mich nur umständlich am Monitor lesen lässt. Ähnlich erging es mir schon mit „Erik’s Deae“, ebenfalls ein Werk das erst im Druck alle seine Details richtig ausleben konnte. So viel also zur Vorgeschichte. Als ich tatsächlich die ersten beiden Bände in gedruckter Form lesen konnte, kam auch gleich das schlechte Gewissen, diesen so liebevoll ausgeschmückten Comic digital verschmäht zu haben. 

„Show, don’t tell“ – Mit solchen detailierten Kulissen erdet Genji Otori regelmäßig ihre Erzählung.

Das gewählte Setting ist vom historischen Japan inspiriert, ohne sich dabei aber auf eine exakte Epoche festzulegen. Allerdings sind in diesem Setting Drachen die Beherrscher der Welt. In der bisherigen Handlung halten diese sich zurück, genau genommen sieht man in den vorliegenden ersten zwei Bänden so gut wie gar keine. Dreh- und Angelpunkte der Handlung sind die Dragoons; Sterbliche die in den Diensten der Drachen stehen und dafür von diesen mit übermenschlichen Fähigkeiten ausgestattet werden. Die Drachen halten sich im Hintergrund und lassen ihre Dragoons sowie die normalsterblichen, wie Schachfiguren für sie kämpfen und sterben.

Die Art und Aufmachung dieser Kriege unterscheidet sich erstmal nicht sehr von dem, was man aus der Geschichte kennt. Große Regimenter namenloser Gefolgsleute folgen, mehr oder weniger Treu ergeben, den Befehlen ihrer Vorgesetzten und sterben oft in erschreckender Zahl. Es gibt keine Feuerbälle, keine fantastischen Todesmaschinen, nur Bogen, Reiter und die verschiedensten historischen Nahkampfwaffen. Man könnte sich in einem epochalen Historienfilm wähnen. Erst recht wenn man die sorgfältig ausgearbeiteten Schlachtpanels betrachtet, die einem genauen Betrachter sogar ermöglichen, den Verlauf der Kampfhandlung, lediglich an einem einzigen genau choreographierten, Bild abzulesen. Wir reden hier also von ausgesprochen bodenständiger Low-Fantasy, zumindest in den bisherigen beiden Bänden.

Die Handlung folgt abwechselnd der wortkargen Dragoonerin Rikka und dem jungen Soldaten Ichiro. Erstere stammt aus der Ahnenlinie der wortkargen, coolen Einzelgänger von Lee und Eastwood bis The Bride und Motoko Kusanagi. Daneben wirkt der junge Ichiro unsicher, schwächlich und immer wieder verloren. Er steht für den namenlosen Soldaten, den kleinen Mann, auf dessen Schultern eine Verantwortung lastet, die man niemandem aufbürden will. Er bildet die erzählerische Erdung und setzt die Auftritte von Rikka in einen Rahmen, der diese Geschichte, trotz des fantastischen Settings, eher wie einen mittelalterlichen Erfahrungsbericht anmuten lässt. Erwähnenswert ist, dass es vom ersten Buch zwei Varianten gibt. In der „White Edition“ ist der Handlung eine Art Epilog vorgeschaltet. Mit einem kleinen Spoiler wird, gar nicht mal ungeschickt, die gesamte Handlung in eine Relation gesetzt, die mit wenigen Seiten beim Leser viele Informationen und Grundlagen verankert.

Auch ruhige Momente werden meistens mit viel Detailverliebtheit versehen.

Die Geschichte setzt mit einem verloren im Schlachtfeld stehenden Ichiro ein. Einer der wenigen Überlebenden eines namenlosen Massakers. Mit wenigen Seiten werden viele Einblicke in die Welt gegeben. Man bekommt ein beklemmendes Gefühl der Verlorenheit und der Machtlosigkeit, spätestens wenn die feindlichen Dragoons auftauchen und die Überlebenden Gefangenen zu ihrem Vergnügen malträtieren. Menschen sind hier erstmal nur namenloses Schlachtvieh, Dragoons mit ihren übermenschlichen Kräften die eindeutig überlegene Art. Aber Menschen, das zeigt sich im späteren Fortgang der Geschichte, sind auch die einzigen die menschlich sind und sich auch so verhalten. Ein jeder Dragoon, so die Prämisse, ist auf irgendeine Art und Weise wahnsinnig, ein Monster. Das kennt man schon aus moderneren Vampirumsetzungen, in denen der Wahnsinn immer der unausweichliche Preis für Macht und Unsterblichkeit ist. Rikka, die erst im letzten Drittel des ersten Bandes wieder auftritt, ist wie Eingangs erwähnt, selbst auch eine Dragoon. Aber davon ab, dass sie eine exzellente Kämpferin ist und ihre Begleiter immer wieder über ihre Kaltschnäuzigkeit frotzeln, wirkt sie nicht sonderlich wahnsinnig. Diese Frage wird auch in der Handlung erhoben und spätestens hier wird dem Leser auch klar, dass auch in dieser Figur eine finstere Ader lauert, die nur noch nicht sichtbar ist. Zwar bekommt man davon in den ersten Zwei Bänden noch nicht viel mit, nur sehr vage und schwache Andeutungen, aber der gesamte Stil der Erzählung macht klar; die große tragische Entwicklung kommt erst noch. Wenn Monster gegen Monster antreten, werden Menschen zu namenlosen Statisten. Und darum ist einem auch relativ schnell klar, dass Rikka zwar aus Sicht der Protagonisten und  des Lesers für die Guten kämpft, gleichzeitig aber in sich denselben Wahnsinn trägt, wie die Dragoons die ihr entgegenstehen.

In Blood Stained Snow ist kein Platz für eine halbseidene pseudo-dramatisierung, wie sie in modernen Erzählungen immer öfter vorkommt und deren angekündigten Dramen am Ende grade einmal für Seifenopern reichen. Hier haben wir eine Erzählung aus einer bedrückenden Welt vor uns, die lediglich von der wärmenden Menschlichkeit einzelner Figuren erhellt wird. Diese versuchen auf ihre Art und Weise das Elend mit gelegentlichem Optimismus, Scherzereien oder verlässlicher Freundschaft erträglich zu machen. Um den Bogen nun zurück zu führen; gerade diese gelungen ineinandergreifende Mischung aus tragischem, oft ausweglos erscheinendem Elend, wahnsinniger Bosheit und menschlichem Zusammenhalt, macht die Geschichte auf vielen Ebenen greifbar. 

Graphisch bewegt sich Genji Otori inzwischen auf einem sehr stabilen hohen Niveau. Nur bei genauem hinsehen entdeckt man noch ganz selten Figuren oder Elemente, die nicht ganz genau zur Perspektive passen. Wir reden hier allerdings schon von einem Detailgrad der auch in professionellen Veröffentlichungen längst nicht immer erreicht wird. Vom ersten zum zweiten Band entdeckt man zudem eine klarerer und besser nuancierte Darstellung in vielen der Gesichtszügen.

Der Panel-Aufbau mag für den erfahrenen Kenner der Manga-orientierten Kunst etwas zu unaufgeregt sein, allerdings fördert dies die Lesbarkeit, gerade für Neulinge in diesem Bereich. Lediglich einzelne Panels besitzen noch eine Gestaltung, die dem Unerfahrenen etwas Mühe abverlangen, bis man die komplexe Choreographie richtig herausließt. Der Kampfstil der Figuren ist sehr stark charakterisiert und dies erlaubt beim Lesen ein Wiedererkennen der Bewegungen. Etwas das nicht unbedingt beim ersten Durchgang auffallen muss. Aber nicht nur der überschaubare Umfang lädt zum wiederholten Lesen an, denn in der Regel gibt es immer wieder einzelne Details, die man erst später bemerkt und die die Erzählung durchaus um neue Facetten erweitern.

Dynamik, Detailverliebtheit, deutliche Linien; wer sein Handwerk so gut beherrscht, sollte definitiv mehr gelesen werden.

Das inszenatorische Highlight sind aber sowieso die dynamischen Posen, die gerne auch mal eine ganze Seite einnehmen. Genji Otori sieht man an, dass sie nicht nur Spaß daran hat ihre Heldin zu inszenieren, sondern dass sie auch ein gutes Gespür dafür hat, wie dies geht. Weniger ist hier ganz klar mehr. Rikka selbst ist oft gar nicht präsent. Sie hat eine überschaubare Menge an Auftritten. Selbst wenn sie ein Teil der Szene ist, wird oft mehr von der Umgebung oder ihren Kontrahenten gezeigt und wie sie versuchen gegen die Protagonistin anzukommen. Ein Stilmittel das nicht neu ist, aber oft nur mangelhaft umgesetzt wird. Hier sieht man eines der wenigen Beispiele, die man sich als Vorbild nehmen sollte.

Abgerundet werden beide Bände durch vergleichsweise viel Bonusmaterial.  Die eigentliche Geschichte kommt genau genommen dünner daher, als es die Softcover vom Umfang vermuten lassen. Dafür bietet der Anhang eine vorbildliche Menge an Text und Skizzen aus dem Entstehungsprozess der Comics. Abgerundet wird dies durch mehrere kleine Strips die man als zeichnerischen Gag-Reel oder Making-Of-Aufnahmen sehen kann. Amüsant, oft belanglos, zeigen sie aber wie engagiert aber auch verspielt die Autorin mit ihren Figuren arbeitet und dass diese ihr daher manchmal auf der Nase herumtanzen. Als konkretes Beispiel kann man Band 2 nehmen. Von 160 Seiten entfallen 92 auf die Hauptstory, dazu kommen 17 Bonusseiten und 51 für eine Zusatzgeschichte in einem anderen Setting, aber mit den gleichen Figuren.

Abschließende Gedanken

Wo sind denn nun die Mängel? Da wäre die Aufteilung der Handlung. Die Mischung aus Action, Ruhepausen, Erzählung und Rahmenhandlung schwankt von Kapitel zu Kapitel. Da wird immer wieder mal für den einen, mal für den anderen Geschmack mehr dabei sein. Auch könnte die Handlung rascher voranschreiten oder übersichtlicher sein. Allerdings wäre das so als wenn man sagt, Game of Thrones sei in den ersten Staffeln noch zu Low-Fantasy. Man merkt es vielleicht, es fällt schwer hier wirklich etwas zu kritisieren. Ich kann diese Arbeit jedem Historien- und Fantasy-Fan nur wärmstens empfehlen und alle anderen Comicfreunde sollten wenigstens mal einen Blick riskieren.

Blood Stained Snow kann man derzeit bis einschließlich Kapitel 4 auf Tapas.io lesen. Die Printausgaben kann man in Genjis Onlineshop beziehen, sobald sie, voraussichtlich Ende diesen Jahres, von ihrer Japanreise wieder zurück ist.

Aktuell pausiert Ihre Arbeit, bedingt durch die schon erwähnte Japanreise. Aber so wie die Entwicklung der ersten beiden Bände begann, wird es hier später sicherlich noch mal etwas zum Fortgang dieses interessanten Projekts zu lesen geben.

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